Autorenseite von Gerd Umhauer
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"Es kommt nicht darauf an, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, sondern mit den Augen die Tür zu finden." (Werner von Siemens)

Leseprobe

Angst. Immer diese schreckliche Angst. Stock­dunkel. Lähmende Stille. Der Schlaf verfolgt mich. Kann nicht mehr denken. Stehe auf, gehe ans Fenster, um es zu öffnen. Es ist immer noch sehr warm. Traue mich nicht, Licht zu machen. Nur John, der Arzt, meint es gut. Wo ist Marcel? Wo ist Papi? Warum ist mein Mann ver­schwunden? Oder habe ich geträumt?

Alle drohen, sogar mein  Gedächtnis. Die Seele am mei­sten. Aber sie ist weg. Verschollen wie Papi. So vie­le Erinnerungen kaputt. Wo ist mein Leben? Fange an zu schlottern. Muss weg hier, sonst stehlen sie mir noch meine Gefühle.

Anziehen in der Dunkelheit. Packe alles in meinen Rucksack. Meine Blätter, wo alles drin steht. Auch John versteht mich nicht. Immer von neuem Fragen aber keine Antworten. Nette Leute, die Daten in Com­puter tippen. 

Alles ist ruhig. Blick auf meine Uhr. Halb vier wahr­scheinlich. Nur schwaches Licht vom Hof. Meine Kreditkarte, die in den Socken steckte, hat das Schwein an der Tankstelle nicht gekriegt. Reines Glück, weil mich in New York… Gedanke weg.

Ach ja, die kugelrunde Frau. Sie hat die zwei Typen vertrieben, die über mich herfielen. Danach habe ich die Amex versteckt. Das Geld von meinem Bruder fällt mir ein. Suchen. Es ist in der Hosen­tasche.

Spähen, ob niemand auf dem Flur ist. Der schwarze Nacht­­portier schnarcht. Meine Joggingschuhe. Hätte sie beinahe ver­ges­sen. Sie haben leise Sohlen. Durchs Fen­ster sehe ich jetzt ein Stückchen Mond.

In der Toilette, wo Licht ist, trinke ich mit den Händen Wasser. Pinkeln. Nach­denken geht wieder nicht. Was ist nur los mit meinem Kopf? Alles ist durcheinander. Kommt es von den Pillen, die sie mir gegeben haben?

An der frischen Luft wird es sicher besser, überlege ich und schleiche mich aus dem Gebäude. Eine Schwester sieht mich. Ich winke ihr zu, sage „buenas tardes“, weil so viele Mexi­kaner hier arbeiten.

Bestimmt zwei Kilometer durch das Klinikgelände bis ich endlich an einer Straße bin. Das Gehen tut gut, ich atme und atme. Klar werden im Kopf ist das Wichtigste. Ohne meinen Rucksack wäre ich jetzt gejoggt. Keine Ahnung, wo ich bin. Unwichtig. Muss erst wieder ich selber werden. Ah, doch,. Pomona heißt die Stadt, fällt mir ein, irgendwo in Kalifornien.

Nach mehreren Kilo­metern eine verwitterte Parkbank. Morgengrauen. Der Verkehr nimmt zu. Schrei­be wieder auf, was mit mir passiert. Muss mittendrin eingedöst sein.

Eine Frau weckt mich. Sie fragt auf Spanisch, ob ich irgend­wo hin wolle. Indianerin wahrscheinlich. Bronze­­farbene Haut, dunkle Augen. Groß, schlank, sehnig, stolz, stren­ges Haar, ganz schwarz, Zopf.

Ich nicke, weil sie Aman­da so ähnelt.

„Señora“, sage ich, „Sie sehen so wunder­schön aus wie mein spanisches Kinder­mädchen Amanda, mit der ich spanisch und englisch reden musste.“

„Sind Sie Französin?“, will sie wissen.

„Deutsch-Italienerin“, sage ich, „mein Bruder lebt hier in Kalifornien, aber mein Gedächtnis ist krank. Ich muss ihn erst suchen. Und mein Notizbuch haben sie mir gestohlen.“

Sie glaubt es nicht, sieht mich eindringlich an. Der Blick tut weh. Plötzlich die Erinnerung, dass ich zwei­mal überfallen worden bin. Ich sage es der Indianer-Frau, damit sie mir glaubt. „Cell phone, Geld­beutel, Pass und Notizbuch haben die Kerle mir gestohlen, Sen͂­ora.“

 

 

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