Autorenseite von Gerd Umhauer
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"Es kommt nicht darauf an, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, sondern mit den Augen die Tür zu finden." (Werner von Siemens)

Leseprobe

2015, ca. 500 Seiten

Dieses Buch handelt von Abenteuern, die in kaum einem Geschichtsbuch vorkommen, und dennoch die Welt bestimmten. Und es handelt von Menschen, die sie inszenierten und bestanden. Mit einem großen Unterschied: Nicht fremde Territorien waren das Ziel, sondern Herausforderungen zu bestehen, geistigen Ruhm zu erlangen oder einfach Geld zu scheffeln. Zu allen Zeiten und in allen Kulturen gab es Menschen, die sich einfach als Tatendurstige durchs Leben schlugen und dabei Heere anführten, Kreuzzüge organisierten, Friedens­ver­handlungen führten oder Wirtschafts- imperien schufen. Ich habe mich auf die Taten und Leistungen jener "Alten" konzentriert, die vor Jahrhunderten und Jahrtausenden absichtlich oder zufällig "Unternehmen" schufen und leiteten, die eine gewaltige wirtschaftliche Bedeutung erlangten, wie etwa die ­Beispiele einiger Weisen und Sophisten im antiken Griechenland, einiger Römer, und der Medici i im Mittelalter zeigen. Ob es sich dabei um Firmen im heutigen Sinne oder einfach um heraus­ragende Unternehmungen handelte, ist den unter­schied­lichen Zeiten entsprechend zweitrangig. Die Namen dieser Tatendurstigen sind verewigt, doch ihr Abenteurer­tum ist eher unbekannt, obwohl man sich seiner Faszination kaum entziehen kann.

Als Nachfahren der berühmten Rhapsoden aus dem Griechenland des 8. bis 6. Jahrhunderts v. Chr., die gelegentlich göttergleiche Bedeutung für die alten Griechen erlangten und teilweise schon zu Urzeiten als fahrende Sänger ihren Lebens­unterhalt verdienen konnten, gelangten die Sophisten in der Antike des klassischen Griechenland nicht nur zu Ehre und Ruhm, einige von ihnen, vor allem Protagoras und dessen Schüler Gorgias, entpuppten sich gar als regelrechte Geld­scheffler, die Tausende von Anhängern mobilisierten.

Zu den mächtigen und superreichen Bossen aus der alten Zeit gehört auch der Zeitgenosse und Freund Caesars, der römische Tycoon Marcus Crassus, der unter anderem dafür sorgte, dass Caesar, der zeitweise zu den am höchsten ver­schuldeten Römern zählte, zu Anfang seiner politischen und militärischen Karriere wirtschaftlich überleben konnte.

Ein Unternehmer ganz anderer Sorte war der legendäre Sklavenführer und Gladiator Spartacus, dessen „Geschäftszweck“ darin bestand, für Freiheit und Leben von Sklaven zu kämpfen und zu sterben. Im frühen Mittelalter gehörte der englische König Wilhelm der Eroberer, dessen geschäftliche Begabung seinem Glanz als Staatsschöpfer nicht nachstand, ebenso zu den Superstars des Business wie jene Dogen von Venedig, die um 1200 die italienische Schiffahrt revo­lutionierten.

Das 13., 14. und 15.Jahrhundert stand besonders im Banne ober­italienischer und deutscher Kaufmanns- und Bankiersfamilien, wie den Florentinern Bardi, Pe­ruzzi, Donati, Albizzi, Pazzi, Strozzi und Medici, den norddeutschen Hanseaten­häusern, der Ravensburger Handelsgesellschaft, damals das bedeu­tendste Unter­nehmen auf deutschem Boden, den Augsburger Patriziersippen der Meuttings, Hämmer­lins, Öhems, Rehms und natürlich der Fugger. Es ist heute kaum zu ermessen, welchen Einfluss, welche Macht und welchen Reichtum etwa die Medici in ihrer Blütezeit im 15. Jahrhundert, etwa hundert Jahre vor der Konsolidierung der Weltmacht der durchaus konkurrierenden Fuggerfamilie, inne hatten. Giovanni di Bicci de´ Medici und dessen Sohn Cosimo galten damals als die reichsten, einflussreichsten zugleich angesehensten Bürger der Stadt, deren Einfluss auch auf die Künste und die Wissenschaften den Begriff des Mediceischen Zeitalters prägte. Ihren Reichtum verdankten sie den inter­nationalen Handels- und Bankgeschäften zu einer Zeit als nur die primitivsten Kommunikationsmittel existierten und das Finanzwesen gerade so weit entwickelt war, dass man mit dem bargeldlosen Instrument des Wechselbriefes umzugehen lernte.­

Diese Urgesteine des alten Europa waren Abenteurer und Überlebenskünstler eines besonderen Schlages. Strotzend vor Charakter wirkten sie wie Tornados und Taifune auf ihre Zeitgenossen. Die meisten waren philosophisch geschult und gedrillt wie ein Protagoras, Sokrates oder Perikles und nicht selten sogar noch strategisch denkende und kämpfende Feldherrn, die es mit einem Pompeius oder Lord Nelson aufnehmen konnten. Der Kontrast zu heutigen Eliten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung könnte nicht größer sein. Gerade das hat mich am meisten fasziniert, leiden wir doch an einer Zeit, in der vielerorts Möchtegern-Cowboys, Blender, Karriere-Workaholics und charakterlose Gesellen höch­ste Stellen inne­haben. Meistens Figuren, die unter den rauen Bedingungen des Altertums oder gar des Mittelalters allenfalls als Tyrannen, Gaukler oder Giftmischer vorü­ber­gehendes Aufsehen er­regt hätten.

Obwohl es vor zweieinhalbtausend und auch noch vor fünfhundert Jahren im alten Europa unver­gleichlich härter, unfreier, rechte- und gesetzloser, in vieler Beziehung „schlimmer“ zuging als heute, finden sich genug Beispiele dafür, dass zumindest die Eliten ein höheres zivilisatorisches Niveau besaßen als so manche Pseudobosse und Spitzennieten heutzutage. Schon zu Zeiten Spartas und der griechischen Polis und erst recht im sogenannten finsteren Mittelalter finden sich durch­gebildete Charaktere zuhauf, die sich nicht nur in den guten, sondern auch unter den schlimmsten Lebensbedingungen zum eigenen und zum Vorteil ihrer Gruppe zu behaupten verstanden, wie wir es sonst nur noch im Tierreich, bei Wölfen, Go­rillas, Ratten oder Zugvögeln kennen.

Anstelle der freiheitsbesessenen Barbarei des späten 20. Jahr­hunderts, in der die seit Jahrtausenden geltenden Standards grundlos außer Kraft gesetzt scheinen, findet sich im alten Europa noch jene undurchdachte, aber daher instinktive Urwüchsigkeit vor, die uns Menschen intuitive Verhaltens­muster, Orientierung und Sinn verleihen. Darauf beruhen schließlich die abend­ländischen Ethiken und Sinninterpretationen. Die meisten individuellen und sozialen Werte und Normen, die die früheren Eliten, soweit wir es wissen, wie Götter leiteten, sind verfallen oder seit langem pervertiert. An ihre Stelle sind außer einer Vielzahl von immer neuen Rechtsnormen hauptsäch­lich Wertvernichtungen, also Entwer­tungen getreten, mit der Folge einer von weitgehend „leerer“ Freiheit wuchernden Individualitäts­zivilisation, an deren Ende diesmal nicht Kriege wie in Hellas, Rom, Venedig oder Florenz stehen, sondern eher die Vernichtung der Lebens­grundlagen der Natur.

Niemand kann heute so recht sagen, wie man die unzähligen Probleme allein in den entwickelten Staaten überhaupt wird lösen können und weshalb wir uns immer unaufhaltsamer der Schreckensvision annähern, den herrlichsten und frucht­barsten aller Planeten zu verheeren und unbewohnbar zu machen. Eines ist allerdings sicher: Ohne uns selbst zu „erneuern“, ohne einen radikalen Kurs­wechsel in unseren Einstellungen und Haltungen, in unserer geradezu poten­zierten Ansprüchlichkeit auf die Maximierung von Freiheit, Geld und Konsum, wird sich nichts zu unserem Schutz und zur Erhaltung der Natur erreichen lassen. Da wir diesbezüglich alle im selben Boot sitzen, ist es spannend und informativ zugleich, sich an die Rhapsoden und Sophisten in der archaischen Zeit, an die großen Zeiten im alten Rom und im Florenz der frühen Renaissance zu erinnern und einige „Abenteurer“ dieser Epochen zu durchleuch­ten, die uns wichtige, manchmal philosophische Orien­tierungen vermitteln können.

In der Geschichtsschreibung und Literatur findet man fast nur Berichte von Menschen, die sich in der politischen, militärischen, künstlerischen und wissen­schaftlichen Arena einen Namen machten. Über ausgeprägte Businesstypen, die mit voller Kraft im Leben standen, gibt es wenige Quellen. Ich bin den Spuren jener Bosse im alten Europa gefolgt, die etwas zustande brachten, auch wenn sie Sklavenführer oder „Weise“ waren, und habe herauszuarbeiten versucht, was sie innerlich be­stimmte und leitete. Dabei stellten sich überraschend Charaktertypen heraus, die wir heutzutage als Abenteurer bezeichnen würden, deren Triebfedern und Selbst­verständnis jedoch andersartig war. Das ist kein Wunder, denn Abenteuer­geist in unserem heute verstandenen Sinne existierte ja noch lange nicht.

Welche Rolle spielte eigentlich Erfolg? Welche Werte und Normen leiteten die Taten­durstigen die etwas zustande brachten, welche Philosophie lenkte sie? Ein interes­santes Ergebnis dieses Buches lautet: Typen, die vielleicht ohne es zu wissen, Abenteurer waren oder einfach Abenteurereigenschaften besaßen, hatten den Erfolg geradezu gepachtet. Überraschend außerdem: Nicht wenige alt­europäische Bosse waren regelrechte Intellektuelle und besaßen so etwas wie eine Philosophie, die ihr Leben und Handeln bestimmte. Solon, der Weise, war Verfassungsschöpfer, Rechts­gelehrter, Staatsmann, Feldherr, Dichter und Kaufmann; Protagoras von Abdera, der die Menschen durch seine Redekunst in den Bann zog wie heutige Rockstars die breite Masse, war Philosoph, Begründer und Vertreter der Sophistik; der gefeierte Gorgias von Leontinoi, ebenfalls einer der großen Sophisten, wurde als Abgeordneter seines Landes zu Friedens­verhandlungen im Peloponnesischen Krieg entsandt, weil kein anderer wie er alle und jeden zu überzeugen verstand; der als schier unbesiegbar geltende Iason von Pherai entpuppt sich nicht nur als großer Feldherr, kampferprobter Krieger und Herrscher seines Volkes, sondern auch als glanzvoller Redner und Sophist; in dem römischen Tycoon Marcus Crassus, der im alten Rom ein Wirtschafts­imperium geschaffen hatte, begegnen wir gar einem Vertreter der wichtigsten philosophischen Ethik des Altertums, der Stoa, und wer weiß schon, ob es gerade dieses philosophische Credo war, das den Superreichen noch als Sechzigjährigen in den Krieg im fernen Asien zog.

Die Beweggründe von Menschen, die im Laufe ihres Lebens nach großen Taten, Macht oder wirtschaftlicher Bedeutung strebten, ähnelten sich in allen Zeiten. Viele sind von der Lust auf Macht oder Ruhm, Besitz oder Geld getrieben, andere werden von bloßer Gier, vom Drang nach Anerkennung oder der Einbildung ihrer Berufung bestimmt. Königinnen und Kaiserinnen, Staats­männer, Fürsten und Herrscher machen ebenso wenig eine Ausnahme wie Kirchen­oberhäupter, Handelsbarone, Kreuzritter, Filmstars oder Rockidole. Während diese Motive tatsächlich jahr­hun­derte- oder gar jahrtausendealt und in allen Kulturen beherrschend sind, scheint die Triebfeder der Abenteuerlust eine Er­run­genschaft der Moderne zu sein.

Bei keinem der großen griechischen Geschichtsschreiber taucht dieser Beweg­grund als solcher irgendwie auf. Weder Herodot, dem schon im Altertum der Ehrenname "Vater der Geschichte" verliehen wurde, noch Thukydides oder Xeno­phon, die im 5. Jahrhundert v. Chr. immerhin schon sparsame Charak­te­ristiken großer Griechen wir Agesilaos, Themistokles, Perikles, Nikias, Alkibiades in ihre Kriegs­berichterstattungen einfügten, findet sich solch ein Motiv, obwohl die Ereig­nisse ­des Peloponnesischen Krieges, über die Thukydides berichtet, oder des großen Feldzuges des Kyros gegen Artaxerxes oder des Spartanerkönigs Agesilaos gegen die Perser und Griechen, den Xenophon beschreibt, wohl mehr mit Abenteuer zu tun haben, als jede Expedition zum Nordpol. Nicht einmal bei Plutarch, dem vielleicht bekanntesten unter den Geschichts­schreibern, der über viele be­deu­tende Griechen und Römer Biographien verfasste, findet sich ein Hinweise oder eine Erwähnung der Abenteuerlust als Motiv zu großen Taten.­

Taten sind jedoch nicht davon abhängig, welche Motive uns dazu bestimmen. Pyramiden und Tempel wurden gebaut, ohne dass es eines Berühmtheits- oder Ewigkeitsmotives bedurfte. Als die drei Venezianer Niccolo, Matteo und Marco Polo sich im Jahre 1271 auf den Weg in den Orient über die berühmte Kara­wanenstraße machten, auf der die kostbaren Seidenwaren in den Okzident ge­langten, hatten sie viele Triebfedern, nur eine nicht: sich in ein Abenteuer zu stürzen, von dem sie erst ein Vierteljahrhundert später auf den Rialto zurück­kehrten. Und doch sind sie so etwas wie der Inbegriff der Abenteurer für uns geworden, denen noch heute junge Menschen auf der ganzen Welt nacheifern.

Niemand muss also mit dem Vorsatz antreten, ein Tycoon zu werden, um besondere Taten zu vollbringen oder Bedeutung zu erlangen. Es zeigt sich aber, dass die Unbekümmertheit, der bloße Drang, der Mut, das Nicht-­rückwärts-und-nicht-vorwärts-Schauen beim Durchqueren des Lebens­dschun­gels mitunter die besten Voraussetzungen für erfolgreiche Missionen bieten, also mit durchbruch­artigem Erfolg belohnt werden. Allesamt Abenteuer­eigenschaften.

Nebenbei hat es mich interessiert, herauszuarbeiten, was Wirtschaft in den zweitausend Jahren zwischen dem 8 Jh. v. Chr. und dem 15 Jh. n. Chr. bedeutete, denn in unserem heutigen Sinne gab es damals noch keine Wirtschaft. Modern ausgedrückt: Welche Wirtschaftsstrukturen waren in der archaischen, antiken, hellenistischen, römischen Epoche und welche im Mittelalter vorherrschend?

So handelt der erst Teil des Buches von der archaischen und antiken Zeit und ihren Bossen, der zweite Teil von der hellenistischen Zeit bis zum Beginn der römischen Weltmacht. Der dritte Teil schildert in Umrissen die soziale, politische und wirtschaftliche Struktur in Rom und dem römischen Reich. Dabei habe ich versucht, die Voraussetzungen und Bedingungen zu verdeutlichen, unter denen ein Magnat wie Crassus sein Business-Imperium schaffen konnte und welche Fähigkeiten und Eigenschaften diesen Big Boss des alten Rom auszuzeichnen schienen. Im Kontrast hierzu sind die Taten des Sklavenführers Spartacus hervorgehoben, eines authentischen Helden, der die Weltmacht Rom das Fürchten lehrte.

Im vierten Teil bin ich den Spuren der modernen europäischen Wirtschafts­geschichte, d.h. den Voraussetzungen für die spätere industrielle Revolution nachgegangen, deren Wurzeln etwa zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert gelegt wurden. Daran schließt sich die Entwicklungsgeschichte der ersten Business-Superstars des Mittelalters an, des Giovanni und des Cosimo de` Medici.

 

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