Rutschpartie Leben
Kurzgeschichten
Es ist Freitag, 23.40 Uhr. Ich verhalte mich ganz leise, möchte Jost überraschen, wir haben uns heute noch gar nicht gesehen, da er erst heute Morgen, als ich schon außer Haus war, aus Budapest zurück kam.
Felix, Josts Sohn, ist vom Tischtennistraining noch nicht zurück, im Wohnzimmer und Büro ist alles dunkel, nur das Hausflurlicht brennt und die Schlafzimmertüre ist angelehnt.
Unruhig schleiche ich mich durch den Flur, traue mich ahnungsvoll kaum die Türe aufzumachen, als ich das blonde Mädchen sehe, das sich gerade ankleidet. Jost hat nicht einmal eine Unterhose an, murmelt verdutzt „Tamina!“, als er mich sieht
Ich kann nicht einmal sagen, was in mir vorgeht außer Tumult. Es hat mir regelrecht die Sprache verschlagen. Mein Herz pocht wie wild, ich bin zappelig. Dann ohrfeige ich die völlig verblüffte Frau, die mich wie erstarrt ansieht, links und rechts. Sie fällt hin. Am Boden liegend packe ich sie an den langen Haaren und schleife sie durchs Schlafzimmer und den Flur. Sie schreit wie am Spieß.
„Tamina, so sei doch vernünftig“, sagt Jost hinter mir her laufend.
Dann hält er mich an beiden Armen fest. Unwillkürlich wehre ich mich durch einen Ellbogenschlag nach hinten, ohne recht zu wissen, was ich tue. Mein Freund schreit auf und lässt mich los.
Weil ich als Kind so zierlich war, haben mich meine Eltern mit fünf Jahren ins Judotraining geschickt, ab neun oder zehn habe ich dann noch Taekwondo zusätzlich trainiert, beide schwarzen Gürtel erworben, so dass solche Reaktionen eingefleischt sind. Zierlich bin ich immer noch, aber zehn Jahre Kampftechnik verlernt man ebenso wenig wie Schwimmen oder Geige spielen.
Noch ehe Jost sich von dem Schreck erholt, schleife ich die Blondine, die wieder schreit und zetert, vor die Haustüre und knalle sie wütend zu. Jost zieht einen Bademantel und Schuhe an und trägt ihre Kleider hinterher, geht raus zu ihr. Es hat vielleicht 16 Grad.
Dann komme ich erst zum Nachdenken, stehe einen Moment lang unschlüssig herum. Die Aufregung legt sich etwas. Überlegen kann ich trotzdem nicht, handle völlig intuitiv, rufe noch im Stehen meine Omi an, die erst gegen 3 Uhr morgens schlafen geht.
„Omilein, ich bin's, kann ich heute Nacht bei dir schlafen, es ist ein Notfall“, frage ich.
„Aber sicher Kind, kann ich dir irgendwie helfen?“, fragt sie besorgt.
„Nein, ich packe nur schnell ein paar Sachen, in einer Stunde etwa bin ich bei dir.“
Dann kommt Felix aus dem Training zurück, kriegt anscheinend mit, was passiert ist. Im Hausgang umarmt er mich fest, „Vati ist so ein Arschloch“, murmelnd.
„Danke“ sage ich und erwidere die spontane Umarmung. Und plötzlich spielen meine Nerven verrückt. Er sieht meine Tränen, sagt, ich könne heute Nacht in seinem Zimmer schlafen, er lege sich ins Büro.
„Ich gehe zu Omi, Felix, kann nicht hier bleiben“, sage ich weinend.
„Ich komme mit dir!“, erklärt er sofort.
Noch mehr Tränen, Jost kommt wieder herein, schämt sich wahrscheinlich, guckt mich nur kurz an, murmelt „entschuldige Tamina“ und geht dann ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen oder was auch immer, ist mir vollkommen gleichgültig.